1997 - Herr Puntila und sein Knecht Matti - Presseartikel

1997- Puntilla und sein Knecht Matti

25.05.1997 - Untertaunus Kurier

Handfeste Gründe

Vor sechs Jahren bereits, als „Richter Adam" in Kleists „Zerbrochenem Krug", hatte sich Ernst Duprè vor der Premiere dieses Stücks der Bad Schwalbacher „Taunusbühne" zum Friseur begeben und sein inzwischen etwas schütter gewordenes Haupthaar der Schere geopfert. Nur drei bis vier Millimeter hoch blieben damals die Haarstoppeln noch stehen. In diesem Jahr ist der 47 Jahre alte Fachjournalist aus Born noch etwas radikaler in der Vorbereitung auf seine Titelrolle in Brechts „Herr Puntila und sein Knecht Matti" und opferte jüngst in Bleidenstadt seinen gesamten Haarwuchs auf dem Altar der hehren Theaterkunst.

Der „Puntila" geht nur mit Glatze: Ernst Dupré im
Stuhl des Bleidenstadter Friseurs Willi Knab. Foto: Kühner
Der „Puntila" geht nur mit Glatze: Ernst Dupré im
Stuhl des Bleidenstadter Friseurs Willi Knab. Foto: Kühner

Friseur Willi Knab ließ sich nicht lange bitten und verwandelte Dupre's Kopf binnen einer Stunde in eine Kugel (Fotos). Gelernt ist eben gelernt. Duprè erhofft sich von seiner echten Theater-Glatze zunächst einmal das richtigere Aussehen als „Herr Puntila", gleichzeitig soll sie ihm helfen, Distanz zu eben diesem Puntila zu halten. Und dann hat der kahle Schädel auch noch ganz handfeste Gründe: In einer Sauna-Szene wird dem arg besoffenen Puntila Wasser über den Kopf geschüttet Und mit nassen Haaren auf der zugigen Burg Hohenstein weiterzuspielen, dazu hatte Brechts Statthalter in der „Taunusbühne" keine Lust. Zumal er im alten Gemäuer wohl kaum eine Steckdose für einen Fön finden dürfte.

Aber der Bart bleibt dran: Nun hofft Ernst Dupré
auf einen möglichst heißen Sommer 1997. Foto: Kühner
Aber der Bart bleibt dran: Nun hofft Ernst Dupré
auf einen möglichst heißen Sommer 1997. Foto: Kühner

 

09.06.1997 - Aar-Bote

Eine Flasche macht noch keinen Trinker
Taunusbühne: Brechts „Herr Puntila und sein Knecht Matti" auf Burg Hohenstein

Von unserer Mitarbeiterin MARIA HATTESEN

Eine Bundestagsabgeordnete allein rettet noch keine Premiere. Vor allem, wenn sie wie die Schirmherrin der Taunusbühne Hohenstein, Heidemarie Wieczorek-Zeul, erst kurz vor Schluß hereinschneit, um dann dem Publikum das Stück zu „erklären": „Wir wollen über uns keine Herren sehen und unter uns keinen Knecht" zitiert Frau Politikerin Brecht. Mit den Lorbeeren hätte die Sozialdemokration ruhig sparsamer sein können, war doch von Kritik an der aktuellen „Kohlstandsgesellschaft" weit und breit keine Spur. Überhaupt stellte sich „Herr Puntila und sein Knecht Matti" eher als eine Art gesellschaftliches Muß für die Creme de la Creme des Wiesbadener Umlandes dar. Brav und lang würdigte die Vorsitzende der Taunusbühne, Beate Müller, darum auch das zahlreiche Erscheinen des Honoratiorenpublikums.
Man ahnt es schon: Es gab Wichtigeres als Brechtsche Gesellschaftskritik an diesem lauen Sommerabend auf Burg Hohenstein. Das 1940 von Bertolt Brecht im finnischen Exil geschriebene „Volksstück" zählt zu dn modernen Klassikern des 20. Jahrhunderts: Gutsbesitzer Puntila ist im Suff ein richtiger Menschenfreund, ein Klassenkämpfer, der sich mit seinen Bediensteten wie dem Chauffeur Matti auf eine Stufe stellt. Nüchtern wird er „zurechnungsfähig", ein tyrannischer Menschenhasser. Weil sich Puntila nüchtern selbst nicht mag, säuft er wie ein Loch. Nicht gerade leicht, aus dieser sozialen Schizophrenie eine runde Figur zu formen. Der Puntila von Ernst Dupres ist, trotz der enormen Textgedächtnisleistung, weit entfernt davon, eine überzeugende Figur zu werden, die im persönlichen Trinkerschicksal das „gesellschaftliche Moment" transparent werden läßt.
In einer tour de force schleppt sich Dupres Gutsbesitzer alleingelassen und ohne ernstzunehmenden Gegenspieler durch die dreieinhalbstündige Aufführung. Regisseur Seumel hat den bequemsten und darum reizlosesten Weg für die Figur gewählt: Sein Puntila muß im alkoholisierten Zustand lallen und, um es auch dem Dümmsten verständlich zu machen, eine leere Flasche in der Hand halten. Dabei wäre es viel aufregender gewesen, wenn das Publikum bei jedem Auftritt des Gutsherren voller Erwartung um dessen Verfassung und die gesellschaftlichen Folgen hätte zittern können.

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Kein „gesellschaftliches Moment" im persönlichen Trinkerschicksal: Brecht „Puntila" in Hohenstein mit Ernst Dupres. Bild: Udo Mallmann

Marianne Thiel als Eva kann mit großem komischen Talent brillieren, obwohl es auch ihr nicht gelingt, den Darsteller des Matti, Andreas Roskos, zu einem lebendigen Spiel herauszufordern. Sein Matti bleibt ohne Entwicklung, der im Stück angelegte Opportunismus ist kaum spürbar. Jede erotische Annäherung zwischen den beiden Figuren wurde im Keim erstickt. Zu oft war der Text in Seumels Inszenierung nur aufgesagt und konnte auch bei viel Wohlwollen nicht mal als die Brechtsche „distanzierte Sprechweise" durchgehen. Schade um das Engagement der vielen Beteiligten, die freundlichen Applaus ernteten. 

 

10.06.1997 - Wiebadener Kurier

Sternhagelnüchtern" regelt er alles
„Puntila"-Premiere auf der Freilichtbühne Burg Hohenstein

Nur wenn ihm der Alkohol den Verstand vernebelt, scheint der Gutsbesitzer Puntila doch so etwas wie ein weiches Herz zu haben. Dann verlobt er sich schon einmal mit gleich vier Frauen aus dem Volk oder rettet gar den „roten" Surkkala vor dem Elend. Doch, wehe er wird wieder nüchtern. Dann erleben wir ihn als rücksichtslosen Tyrannen und skrupellosen Machtmenschen, der „Sternhagelnüchtern" meint, mit Geld ließe Sich alles regeln. Ernst Dupre verkörpert in der Inszenierung der Taunusbühne den janus-köpfigen Protagonisten aus Brechts Volksstück „Herr Puntila und sein Knecht Matti", das nun auf der Freilichtbühne Burg Hohenstein Premiere feierte.
Mit schwerer Zunge, in leichter Schieflage torkelnd und gestörter Feinmotorik spielt Dupre den Irrsinn des Suffs in all seinen lächerlichen Facetten. Sein Chauffeur Matti agiert dagegen mit stoischer Ruhe, sich unbeeindruckt zeigend vom Gebaren seines Herrn. Andreas Roskos spielt den zwar anpassungsfähigen, aber dennoch klassenbewußten Knecht, der erst am Ende des Stück wirklich seine Konsequenzen zieht. Hans-Horst Seumel verzichtet in seiner Inszenierung auf knallende Effekte und schmückenden Firlefanz. Vielmehr vertraut er auf die Amateurschauspieler und deren Spaß am Spiel.

Ernst Dupre als Puntila und Christine Herber als Kuhmädchen Foto: Gandras
Ernst Dupre als Puntila und Christine Herber als Kuhmädchen Foto: Gandras

Neue Sichtweisen auf Brechts vielschichtiges Stück konnten nicht erwartet werden, und dies kann auch nicht Sinn und Zweck einer Laienbühne sein. Die ihre Freizeit opfernden Schauspieler geben allesamt ihr Bestes, um das liebevoll in Szene gesetzte Volksstück auf die Bühne zu bringen. So auch Marc Ullrich Schneider als snobistisch-verblödeter Attache, der sich mit seinen pikierten Umgangsformen so ziemlich jeden zum Feind macht. Laina, die Köchin und gute Seele von Puntila, wird beherzt gespielt von der 1. Vorsitzenden und guten Seele der Taunusbühne, Brigitte Müller. Erholsam und lobenswert auch ihre Begrüßungsrede vor Beginn des Stücks.
Die emanzipiert-renitente Tochter des Saufbolds gibt Marianne Thiel. Als Eva kehrt sie ihrem Verlobten den Rücken und hat es nun auf den Knecht abgesehen. Doch in dem folgenden Ehe-Examen zeigt auch der Knecht Standesdünkel. Eva soll ihm erst beweisen, daß sie sowohl Socken stopfen als auch ihren Mund halten kann, wenn der Herr es gebietet. Ganz so wie er es von seiner Mutter gewöhnt ist. Die wenig praktisch veranlagte Tochter aus gutem Hause rasselt durch die Prüfung, und damit ist die Heirat mit Matti passe. Derweil macht sich Puntila schon wieder besoffen die Welt ein wenig verträglicher. Sein Knecht muß ihn verlassen, um Herr seines eigenen Lebens zu werden. Mit gepacktem Koffer zieht er von dannen. Spot auf Puntila in seinem Zimmerchen: Die Flasche an seiner Kehle, weiß man: Nun wird er wieder gut.
Viel Beifall für die engagierte Ensembleleistung. SHIRIN SOJITRAWALLA

 


26.07.1997 - Wiesbadener Kurier

Blauer Himmel nur über Tavastland
Bilanz der „Taunusbühne": Trotz des Wetters 6000 Zuschauer auf Burg Hohenstein

BURG HOHENSTEIN (mg) Die Inszenierung war ein voller Erfolg, die Schauspieler wieder Spitze, die Zuschauer begeistert, nur das Wetter hätte wirklich sehr viel besser sein können. So oder so ähnlich lautet kurz zusammengefaßt die Bilanz der diesjährigen Spielzeit der Bad Schwalbacher Taunusbühne auf Burg Hohenstein.
Zu Anfang ein paar Zahlen: 19 Freiluftvorstellungen von Brechts „Herr Puntila und sein Knecht Matti" wurden gegeben, rund 6 000 Zuschauer spendeten nach dreieinhalb Stunden Laientheater auf höchstem Niveau dankbar Applaus. Wobei es dem Ensemble"* selten erspart blieb im Regen abzubauen. Und das oft bis morgens 2 Uhr!
Zwei Bühnenjubiläen konnten gefeiert werden: Rosemarie Haas, im „Puntila" die Schmuggleremma, und Knut Schneider, der das Puntilalied sang, standen inzwischen 275 mal auf der Bühne. Doch damit sagt Rosemarie Haas den „Brettern die die Welt bedeuten" noch keinesfalls Ade. 1999 wird sie ihr Lieblingsmärchen „Kalif Storch" inszenieren, 2001 wahrscheinlich „Robin Hood".
Schneider ist als Schauspieler, Regisseur und Sänger bekannt. Seine letzte Inszenierung ist Kleists „Zerbrochener Krug", im „Puntila" spielte er den Advokat und sang zwischen den einzelnen Bildern die acht Strophen des Puntilaliedes. Macht in 19 Vorstellungen stolze 154 Strophen! Der Himmel von Tavastland, dem Bühnenbild, war zumeist blauer als der Himmel über Burg Hohenstein. Trotz des kalten und regnerischen Wetters mußte das Ensemble nur zweimal nach der Pause im Regen spielen. Die Zuschauer saßen zum Glück immer im Trockenen, nämlich gut überdacht.
Trotz der hohen Luftfeuchtigkeit blieb es Ernst Dupre, dem Darsteller des Puntila, nicht erspart, pro Vorstellung vier Liter Wasser und Tee trinken zu müssen. Mit einer Saunaszene also eine sehr feuchte Hauptrolle, die den Hauptdarsteller auch dazu brachte, sich eine Glatze scheren zu lassen. Föhnen war nämlich nicht möglich in den historischen Mauern der Burg.

Das Ensemble der Bad Schwalbacher „Taunusbühne" nach der letzten Aufführung des „Puntila" auf
Burg Hohenstein mit der Schirmherrin Heidemarie Wieczorek-Zeul (rechts), die, mit rotem Schirm in der Hand, ihrem Ehrentitel wahrlich Ehre machte.	Foto: Laue
Das Ensemble der Bad Schwalbacher „Taunusbühne" nach der letzten Aufführung des „Puntila" auf Burg Hohenstein
mit der Schirmherrin Heidemarie Wieczorek-Zeul (rechts), die, mit rotem Schirm in der Hand, ihrem Ehrentitel wahrlich Ehre machte. Foto: Laue


Alkohol gab es für die Truppe immer erst nach den Vorstellungen. Galt es doch, eine ganze Menge von Geburtstagen zu feiern. Tee für das ganze Ensemble besorgte unverdrossen Marianne Thiel. Auf eine ruhige Saison können die Souffleusen Martha Storch und Anne Prasse zurückblicken. Das Ensemble unter der Regie von Hans-Horst Seumel erwies sich als sehr textsicher. Kein Wunder, hatte man doch seit Januar geprobt, Und das oft fünfmal in der Woche und dazu noch oft bei Regen und Schnee auf der Burg.
Trotzdem laufen die Vorbereitungen für die nächsten Inszenierungen schon an. Als Weihnachtsmärchen gibt die „Taunusbühne" in diesem Advent den „Kleinen Hobbit", für die Burgspiele 1998 hat man sich „Das Wirtshaus im Spessart" ausgeguckt.