1994 - Jedermann (Hofmannsthal)
Wiesbadener-Kurier vom 13. Juni 1994 |
Jedermann" als wäre er von heute
Hugo von Hofmannsthals Mysterienspiel auf Burg Hohenstein
Vielleicht wagt mal jemand, Anfang und Ende des Spiels vom Sterben des reichen Mannes auszutauschen. Schließlich bekennt sich Hofmannsthals Jedermann am Schluß zum Glauben, vermag diesen jedoch nicht mehr tätig zu leben. Während er zu Beginn aus Mitleid oder Angst? sich doch mildtätig gibt.
Barbara Zorn verkörpert als Schauspielerin solche Werke" menschlicher und hier christlicher Haltung, wie sie im Jedermann" personifiziert werden. Und wagte auf ihre Weise Neues, indem sie die Inszenierung der Taunusbühne" Bad Schwalbach mit einer Fülle von aktuellen Bezügen versah, die über die Allgemeingültigkeit des Bühnenstücks hinaus Wirkung haben.
1994 - Jedermann (Hofmannsthal)
Diese erwies sich schon beim Auftakt der Freilicht-Theater-Saison auf der Burg Hohenstein. Und bekam geradezu einen Segen von oben, als kurz vor der Premiere die weit geöffneten Himmelsschleusen sich schlossen. Blieb nur" die Kälte, gegen die sich das erfahrene Publikum gutverpackt gewappnet hatte. Und die dassroße Ensemble in teils luftigen Kostümen vom Team um Sieglinde Hüsam offensichtlich durch Freude und Lust des Spiels bezwang. Alljährlich wird das Erstaunen darüber größer, wie engagierte Amateur-Akteure und Helfer ohne Gage ans Professionelle reichende Leistungen vollbringen. Vielleicht erreichen sie gerade dadurch die Frische ihres Spiels. Was nun aber innovative Formen der Präsentation anbetrifft, so wurden für die Inszenierung Elemente des Volksstücks mit prallem Spiel im Stil von Goldoni und Moliere eingebracht, wie sie den Dramatiker beeinflußt hatten. Dazu gibt es Passagen epischen Theaters, die Jedermann/Frau die kulinarischen Genüsse überdenken lassen.
1994 - Jedermann (Hofmannsthal)
Jedermann'-Szene auf Burg Hohenstein: Hubert Prause (links vorne) in der Titelrolle.
Die Regisseurin Barbara Zorn läßt etwa nicht nur die berühmte Tischgesellschaft bedeutsam erstarren, als würde ein Film angehalten. Auch klug ausgewählte Musik, von Bachscher Fuge über martialische Klänge Prokofieffs bis zu intonierten Herzwunden" Griegs, verdeutlicht das Geschehen. Und auch Sprecherrollen vom Tonband, der Einsatz von Licht und anderer technischer Mittel führen sowohl inhaltlich als auch von der Bühnenpräsenz her in die Gegenwart. So gelingt es, als Kontrapunkt zum reichen Jedermann", die Armen, etwa in Gestalt des Schuldknechts, geradezu als heutige Obdachlose erscheinen zu lassen; Opfer von Gewinnsucht und Arbeitslosigkeit.
Dies wird durch intensives Spiel erreicht. An der Spitze von Hubert Prause in der Titelrolle, der bei aller poetisch-ältertümlichen Verssprache des Hofmannsthalschen Werks eine leidende Kreatur mit charakterlicher Ausprägung formt. Hans Haas als Tod vermag gleichfalls zu packen und anzurühren, dazu Brigitte Müller (Mutter), Marianne Neuendorf (Buhlschaft), schließlich das ganze Ensemble bis zu den kleinsten" Rollen und Darstellern. Im zweiten Teil kommt auch die komödiantische Darstellung des Teufels durch Horst Seumel hinzu, um die dominierenden Elemente vom Mysterienspiel aufzulockern". ERNST GÜNTHER
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Aar-Bote vom Montag, 13. Juni 1994 |
Unheimliches steigert sich im alten Gemäuer
Taunusbühne Bad Schwalbach spielt Hofmannsthals Jedermann" auf Burg Hohenstein / Reiz der Szenerie
alt.- Kein Erbarmen mit dem Wetter kannten die Mannen und Frauen um die Chefin der Taunusbühne Bad Schwalbach, Barbara Zorn, herum. Da mochte es noch wenige Minuten vor der Eröffnung der diesjährigen Freilufttheatersaison auf Burg Hohenstein stürmen und wie aus Eimern gießen, die Theaterleute ließen sich davon nicht beeindrucken. Das Wetter von dieser Standhaftigkeit umso mehr: Als es endlich ernst wurde im Innenhof der alten Ritterburg stahlen sich sogar ein paar Sonnenstrahlen bis auf die Bühne durch.
1994 - Jedermann (Hofmannsthal)
Den "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal hat sich die Taunusbühne in diesem Jahr ausgesucht. Und ihn in seiner Zeit, irgendwann im Spätmittelalter, frühe Neuzeit gelassen. Sowohl sprachlich wie optisch nimmt sich das Spiel um Glaube und Tod vor der romantischen Burgkulisse außerordentlich realistisch aus. Opulent und liebevoll bis ins Detail die Inszenierung, für die ebenfalls Barbara Zorn verantwortlich zeichnet. Geschickt nutzt sie die Gegebenheiten des alten Gemäuers für dramaturgische Effekte, wobei sie sich den einen oder anderen schon beim Phantom der Oper" abgeschaut haben mag. Schadet aber gar nichts.
Aus der alten Mauer tritt der Tod (Hans Haas), gleichsam ein Abgesandter des Himmels und möglicherweise der Hölle, um Jedermann (Hubert Prause) vor dessen Schöpfer zu zitieren. Markige Klänge aus der guten versteckten Musikbox verstärken das Unheimliche dieser Auftritte. Nun, die Geschichte des Stücks ist bekannt: Der reiche Jedermann fühlt sich noch gar nicht so recht zum Sterben und erbittet sich ein Frist, damit er sich einen Gefährten für die letzte Reise suchen kann. Die wird ihm auch gewährt, doch will sich verständlicherweise niemand finden, der Jedermanns Reisebegleiter sein möchte.
1994 - Jedermann (Hofmannsthal)
Die Naturbühne wird für Hofmannsthal bei den Burgspielen beeindruckend genutzt.
Alle suchen sie das Weite, als die guten Zeiten Jedermanns zu Ende gehen. Die Buhlin (Marianne Neuendorf), die Vettern (Stefan Weber und Stefan Schmitt) suchen ehrlich bleibend oder mit Ausflüchten versehen das Weite. Respekt gebührt der wirklich opulenten Ausstattung des diesjährigen Jedermann. Kostüme, Dekoration und angedeutete Gebäude erzeugen ein Gesamtbühnenkunstwerk, daß gar nicht so recht zu einer Freizeittheatertruppe passen will.
Die Schauspieler, allen voran Hubert Prause haben ihren Text wohl gelernt und auch verstanden, müssen sich aber nach der jetzt erfolgten Premiere ganz eindeutig noch freispielen. Sie können es und sind gut, sie müssen nur selbst daran glauben und den Rest von Theaterspielen, der ihren Rollenverkörperungen noch anhaftet, loswerden. Das wird ihnen aber sicher unter der Prinzipalin Zorn gelingen, sodaß im Gegensatz zu vielen anderen Aufführungen die Qualität derselben von Mal zu Mal steigen wird.
Besonderer Charme der Hohensteiner Inszenierung ist die Bewahrung des Traditionellen. Barbara Zorn wagte keine Experimente, sieht man einmal von den musikalischen Einsprengseln ab. Das passt sehr gut zur Umgebung und zur Mannschaft und läßt den Wunsch nach einer etwas zeigenössischeren Interpretation gar nicht erst aufkommen.